Der Verlag „Buchkunst Berlin“ wurde 2018 von der Designerin und Fotografin Ana Druga und dem Fotobuchhändler und Fotografen Thomas Gust, mit dem Schwerpunkt auf künstlerische Fotobücher und Bildbände, gegründet.
Seitdem sind die ersten drei Titel erschienen: „Berlin Mai 1945“ – ein in Moskau entdecktes Archiv des russischen Front-Fotografen Valery Faminsky, sowie die Bücher „Cheung Chau Sunrises“ und „Hong Kong Lost Laundry“ in Zusammenarbeit mit dem international renommierten Fotografen Michael Wolf. Im Sommer 2019 kuratierten beide, die im Berliner Willy Münzenberg Forum gezeigte Ausstellung „Berlin Mai 1945 – Valery Faminsky“ und betreuten darüber hinaus die große Retrospektive von Michael Wolf „Life in Cities“ in der Urania Berlin. Mit ihren ersten Büchern haben sie gezeigt, dass mit kreativer Energie und der nötigen Hingabe auch heute die Möglichkeit der erfolgreichen Veröffentlichung und Vermittlung von engagierten Bildbänden und Fotobüchern für junge Verlage in diesem Genre besteht.
Die Arbeit mit dem Medium bedeutet für uns eine ideelle Wertschätzung gegenüber der Kunst, der Fotografie und unserer Geschichte.
Vor knapp 10 Monaten ist Euer erstes Fotobuch „Berlin Mai 1945 – Valery Faminsky“ erschienen und die 2.000 Exemplare sind schon fast ausverkauft. Das ist ein großartiger Erfolg für einen jungen Verlag. Wie seid Ihr auf diese ungewöhnlichen Fotografien gestoßen und wann kam es zu dem Entschluss, diese in einem Buch zu veröffentlichen?
Thomas Gust: Dieses spezielle Archiv mit den Fotografien vom Ende des Krieges in Berlin wurde 2016 in Moskau von dem Fotojournalisten Arthur Bondar entdeckt, mit dem ich über meine Fotobuchhandlung ‚Bildband Berlin‘ schon länger in Kontakt stand. Er schickte mir eine Auswahl der Fotografien von Valery Faminsky – welche uns zutiefst bewegt haben und es war schnell klar, dass wir eine Auswahl in Berlin im Mai 2018 in einer Ausstellung zeigen wollten. Verschiedene Tageszeitungen und Magazine berichteten über dieses ‚Berliner Ereignis‘. Aufgrund der Intensität der Bilder, der großen Nachfrage und den vielen persönlichen Begegnungen und Gesprächen mit Zeitzeugen, die genauso bewegt waren wie wir, war uns schnell klar, dass wir diese Fotografien veröffentlichen müssen, da sie ein Teil unserer eigenen Geschichte sind. Wir haben starke Partner gefunden, die genauso wie wir von den Bildern überzeugt waren und haben gemeinsam den Sprung ins kalte Wasser gewagt, einen Bildband dieser unglaublichen Entdeckung zu veröffentlichen.
Ana Druga: Jeder, der diese Bilder gesehen hat, ist von den Bildern ergriffen, weil es schonungslose wie auch aufrichtige und humanistische Dokumentationen dieser letzten Kriegs- und der ersten Friedenstage im April und Mai 1945 sind. Der Erfolg und das Echo haben uns bestärkt. Seitdem haben wir viele Anfragen für Bücher mit einem historischen Kontext erhalten und arbeiten zurzeit unter anderem auch an einem Buch mit Fotografien über den Krieg in der Ukraine 1941.
RECARA: Knapp drei Monate später habt Ihr das zweite Buch „Cheung Chau Sunrises“ mit dem Foto-Künstler Michel Wolf veröffentlicht. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ana Druga: Im November 2018 habe ich Michel Wolf bei der Eröffnung seiner Retrospektive „Life in Cities“ in den Hamburger Deichtorhallen getroffen und es entstand sehr spontan die Idee für ein gemeinsames Buchprojekt. Für uns bedeutete es natürlich eine enorme Herausforderung und gleichzeitig eine große Ehre, mit einem so berühmten Foto-Künstler zusammenzuarbeiten und seine neue Werksgruppe „Cheung Chau Sunrises“, eine Serie von Sonnenaufgängen über der Bucht von Hongkong zu veröffentlichen. Diese auch sehr malerisch wirkenden Fotografien haben beim Publikum scheinbar einen Nerv getroffen und das Buch hat sich rasend schnell verkauft.
Thomas Gust: Im Anschluss wurde das Buch gemeinsam mit Michael Wolf unter anderem in Amsterdam, Hamburg, Hongkong und Berlin präsentiert und zusammen haben wir sofort am nächsten Fotobuch „Hong Kong Lost Laundry“ gearbeitet. Auch für Michael Wolf, wie für uns selbst, waren und sind das Gestalten und die Veröffentlichung von Fotobüchern ein rauschhaftes Vergnügen. Ich würde sagen – im Sinne von Goethe – eine Art von fröhlicher Wissenschaft.
RECARA: Was treibt Euch an, an einem Medium zu arbeiten, der von den digitalen Medien immer weiter verdrängt wird?
Ana Druga: Die Arbeit mit dem Medium bedeutet für uns eine ideelle Wertschätzung gegenüber der Kunst, der Fotografie und unserer Geschichte. Es ist wunderbar, sich mit unseren Veröffentlichungen in diese Geschichte einzuschreiben, Wirklichkeiten neu und einzigartig zu beschreiben.
Unser Interesse ist es, besondere Bücher zu konzipieren, zu gestalten und zu veröffentlichen – und das vor allem in einer Zeit, in der das Medium Buch, bzw. Fotobuch immer mehr an Boden, gegenüber den digitalen Medien und deren beschleunigenden Entwicklungen verliert. Genau diese Behauptung, dass das Fotobuch eine eigenständige Erzählform ist, möchten wir weiterentwickeln und auch weitergeben – mit ganzer Leidenschaft.
RECARA: Wo trifft man Euch, wenn Ihr nicht in Berlin arbeitet oder eigene Events veranstaltet?
Ana Druga: Wir verbinden so gut wie jede Reise mit unseren Lieblingsthemen „Fotografie und Bücher“. Wir besuchen jedes Jahr diverse Messen, so zum Beispiel eines der bekanntesten und wichtigsten Festivals für Fotografie: die „Rencontres d’Arles“ welche jedes Jahr im Sommer in Südfrankreich stattfinden und wo sich Fotografen, Fotobuchverlage und Fotografie-Begeisterten treffen oder die weltweit führende Messe für Fotografie „Paris Photo“. Auf diese Messe freuen wir uns in diesem Jahr besonders, da unsere Fotobücher zum ersten Mal im Grand Palais, dem Herz dieser Veranstaltung zu sehen sein werden.
Thomas Gust: Vorab werden wir im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse sein und freuen uns sehr, bekannte Verleger wie Lothar Schirmer und Gerhard Steidl, ebenso wie auch Kollegen von kleineren Verlagen zu treffen. Es ist eine eigene Welt, ein eigenständiger Kreis von kreativen und leidenschaftlichen Menschen, denen man immer wieder gerne begegnet. Es geht eher um Austausch als um Wettbewerb oder Konkurrenz.
RECARA: Wie muss man sich die Arbeit an einem Fotobuch vorstellen?
Thomas Gust: Die künstlerische Auseinandersetzung ist der erste Schritt. Und die Frage: warum muss es dieses Buch geben, müssen dafür Bäume gefällt werden? Aus der Anordnung der Bilder, der sogenannten Sequenz, entsteht plötzlich eine Geschichte, welche mit diesen Bildern ganz ohne Text erzählt wird, eine eigenständige Erzählform, wie schon gesagt. Das Cover soll verführen, ein wenig, aber noch nicht alles über den Inhalt verraten. Die ganze Zeit während der Produktion setzt man sich mit dem Thema des Buches, mit der eigenen Geschichte, mit unserem Leben auseinander. Mit der Veröffentlichung beginnt der Prozess der Promotion. Einen schönen Bildband herzustellen ist eine Sache, aber ihn auch im Handel sichtbar zu machen, den Menschen nahe zu bringen (und das nicht nur in Berlin oder Hamburg), ist eine andere.
Ana Druga: Bücher sind Lebensmittel und wie der Verleger Gerhard Steidl schon gesagt hat, ein Buch hat eine Lebensdauer von ungefähr 1000 Jahren. Es hält deutlich länger als alle anderen Speichermedien. Und das ist eine phänomenale Geschichte. Wie schön es ist, eine kleine Spur, etwas Besonderes in der Welt zu hinterlassen. Nicht für uns, sondern für die Kunst, die Fotografie und für das Abbild von Welt, in der wir leben.
Darüber hinaus glauben wir schon, während der Arbeit am Buch auch ein emotionales Verhältnis zum Betrachter zu entwickeln, wodurch der Betrachter ein emotionales Verhältnis zu dem Medium, dem Fotobuch entwickeln kann. Klingt kompliziert, aber es bedeutet ja letztendlich gemeinsames Teilen von Leidenschaften. Gemeinsames Entdecken. Das sind unter anderem die Punkte, die uns an der Arbeit mit Fotobüchern faszinieren. Es ist wunderbar, dass wir uns dafür gefunden haben.
RECARA: Was sind Eure nächsten Ziele?
Ana Druga: Im Augenblick arbeiten wir, wie schon erwähnt an den Fotografien eines dem Bauhaus nahestehenden Sammlers und Fotografen, der während des Fronteinsatzes in der Ukraine 1941, Fotografien aufgenommen hat, welche die Abgründe des Krieges zeigen. Es ist aber auch ein Versuch, diesen Schrecken etwas entgegenzusetzten – durch das Medium Fotografie, durch eine künstlerische wie menschlichere Darstellung. Die Fotos berühren uns so sehr, dass wir beschlossen haben, zusammen mit dem Galeristen Norbert Moos dieses Buch gemeinsam zu veröffentlichen.
Thomas Gust: In einer Zeit, in der sich die politische Landschaft in Deutschland ja deutlich verändert, ist das vielleicht wichtig, sich zu erinnern und ein Zeichen zu setzten. Es sind Bilder von einer eindringlichen Intensität, Schönheit und Schrecken, man sieht, das schreckliche Gesicht des Krieges, der Tod ist allgegenwärtig, man sieht aber auch den Willen, das Grauen zu überstehen. Es ist ein Projekt, mit dem wir uns in die dunkle Seite der Geschichte begeben und uns daran abarbeiten, aber auch ein Teil dazu beitragen wollen, die Geschichte unseres Landes und Europas für eine bessere Zukunft zu gestalten.
Ein Interview von RECARA 10.2019
Fotos von Sebastian Wells